Start-over Dad - kein Sonderfall

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Heute werden immer mehr Männer über 50 Jahren -  häufig nicht zum ersten Mal - Vater. Die Väter haben oftmals schon ältere, erwachsene Kinder aus vorhergegangenen Beziehungen, hinzu kommt ein Kind aus der aktuellen. Dabei stösst die späte Vaterschaft nicht immer auf die Akzeptanz der Gesellschaft; zudem bestehen für die Gesundheit des Kindes auch gewisse Risiken.

Die Gesellschaft nimmt gegenüber der späten Vaterschaft oft eine differenzierte Haltung ein. Die älteren Väter werden in der Regel schief angesehen oder es wird hinter vorgehaltener Hand gemutmasst, dass die Männer das eigene Alter nicht akzeptieren können. Die Gründe aber, warum ein Mann spät Vater wird, sind individuell unterschiedlich - und doch zeigen die Lebensläufe sehr viele Ähnlichkeiten.

KEINE EXOTEN MEHR

Oftmals ist die Schwangerschaft der aktuellen Partnerin nicht beabsichtigt. Ein reiferer Mann reagiert in dieser Situation jedoch ganz anders, als er es noch vor 30 Jahren getan hätte: Durch die Lebenserfahrung und eine gewisse finanzielle Sicherheit wird das neue Familienmitglied mit Freunden erwartet und der Mann stellt sich auf das neue Leben ein. Durch das ausgeprägte Verantwortungsbewusstsein zugunsten der finanziellen Sicherheit von Mutter und Kind wird meist noch vor der Geburt geheiratet.

Bei ca. 5 % der Neugeborenen in den Industrieländern Europas ist der Vater heute über 50 Jahre alt, in den USA sind es sogar schon 10 %. Bei den Möglichkeiten nochmals Eltern zu werden, war die Natur leider mit der Chancengleichheit von Mann und Frau nicht gerecht: Während bei den Frauen ab einem Alter von 35 Jahren die Chancen einer erfolgreichen Schwangerschaft schwinden, können die Männer bis ins hohe Rentenalter Kinder zeugen. Eine Möglichkeit, welche die Männer immer häufiger selbstbewusst nutzen.

START-OVER-DAD

Dies ist der offizielle Fachbegriff amerikanischer Soziologen für diese Männergruppe („Noch-mal-durchstarten-Vater“). Dieses Phänomen des Last-Minute-Vaters hat sich nicht erst in den letzten Jahren in unserer Gesellschaft entwickelt, jedoch hat sich die bewusste Wahrnehmung solcher reifen Väter verändert. Zudem ist neu, dass immer mehr Männer der Überzeugung sind, durch ihre Karriere eine wichtige emotionale Komponente des Lebens verpasst zu haben. So wollen sie in der zweiten oder dritten Ehe das Heranwachsen der Kinder ganz bewusst erleben und frühere Fehler korrigieren.

Vorreiter dieses Trends sind vor allem gut verdienende Männer, die sich eine Zweitfamilie leisten können. Nachdem diese Männer in ihrer ersten Lebenshälfte Erfolg und Karriere ausgekostet haben, wollen sie jetzt eine andere Rolle ausprobieren. Haben sie sich einmal zum Vater werden durchgerungen, bleiben sie mit aller Konsequenz dabei, verabschieden sich gern vom lieb gewonnenen Lebensstil und Lebensmustern und lassen im Beruf anderen den Vortritt.

DIE GRÜNDE

Häufig ist die Familienplanung für Männer über 50 bereits abgeschlossen und es existieren schon erwachsene Kinder aus einer oder mehreren Beziehungen. Die meisten Männern in diesem Alter werden nochmals in einer neuen Partnerschaft mit einer jüngeren Frau zum Vater. Dabei ist die Partnerin meist jünger und (vor allem bei der Partnerin) der Kinderwunsch steht wieder zur Debatte.

Es gibt aber auch Fälle, in denen sich der Mann erst spät zur Vaterschaftdurchringen kann. Möglicherweise war die Karriere bislang wichtiger, die Lebensumstände passten nicht zur Familienplanung oder man konnte sich mit der bisherigen Partnerin kein Kind vorstellen. Die reifen Männer stehen dann vor einigen schwierigen Überlegungen und Entscheidungen, bis der Entschluss zur Vaterschaft erfolgt.

GESUNDHEITLICHE RISIKEN

Bedenkenlos ist aber ein Kind im Alter nicht - Studien über die Gesundheitsrisiken von älteren Vätern haben ergeben, dass es durchaus einen Zusammenhang zwischen dem Vateralter und der Intelligenz des Kindes gibt. Im Durchschnitt erreichen betroffene Kinder im Intelligenztest sechs Punkte weniger als Kinder mit Eltern im durchschnittlichen Alter von ca. 32 Jahren. Von Experten wurde auch entdeckt, dass das Risiko einer manisch-depressiven Störung mit dem Alter des Vaters steigt; in einer anderen Studie wurde festgestellt, dass beim Nachwuchs von älteren Vätern vermehrt Autismus und Schizophrenie vorkommen. Dabei konnten die Gründe für diese Ergebnisse noch nicht vollständig geklärt werden.

Genetiker vermuten aber, dass die häufige Zellteilung der Spermien der Grund dafür sein könnte. In medizinischer Hinsicht werden neue Spermien durch die Zellteilung bereits vorhandener Samenzellen gebildet, wobei bei jeder Teilung das Erbgut verdoppelt wird. Je häufiger dieser Vorgang der Zellteilung durchgeführt wird, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers der Erbgutübertragung. Leider die gesundheitliche Ausgangslage in den Beratungsgesprächen oftmals gar nicht besprochen. Gerade aber weil die Gesundheit des Kindes für ältere Väter sehr wichtig ist, sollte dies unbedingt thematisiert werden.

Oft stehen reifere Männer vor der Frage, wie sich das Zusammenleben mit und das Sorgen für das Kind entwickeln wird. Die Geburt mit 50, die Pubertät mit 60 und mit 70 das erwachsene Kind. Wenn man sich über diese Ausgangslage ernsthafte Gedanken macht, steht man vor vielen Fragen, für die es im Moment keine Antwort gibt. Wie ist es, wenn ich in Pension gehe? Werde ich fit und gesund genug sein? Was passiert, wenn ich zum Pflegefall werde? Was passiert, wenn ich sterbe? Wichtige Fragen, die jeder Mann mit sich selbst klären sollte. Dabei spielt die finanzielle Sicherheit für die neue Familie sehr selten eine Rolle bei der Entscheidungsfindung - sie ist meistens kein Problem, weil der späte Vater oft schon eine berufliche Karriere hinter sich hat und für das Alter abgesichert ist.

KINDER MIT SPÄTEN VÄTERN

Es gibt für Kinder mit einem reifen Vater eher Vor- als Nachteile: Der späte Vater hat sein eigenes, vielleicht wildes Leben schon ausgekostet, die Karriere ist kein Thema mehr und so kann sich der Vater gelassen auf das Kind konzentrieren und sich die nötige Zeit zur Hilfe und Unterstützung für die Entwicklung des Kindes nehmen. Schwierigkeiten können erst zu einem späteren Zeitpunkt durch den Generationsunterschied entstehen, da sich Werte und Regeln seit den Kinderjahren des Vaters wesentlich geändert haben. Jedoch besteht bei nahezu allen Eltern dieses Problem in der heutigen Zeit in abgeschwächter Form, da die gesellschaftliche Entwicklung in der Gegenwart immer schneller vonstatten geht.

Der grösste Vorteil für das Kind eines späten Vaters ist ganz klar die Zeit, welche die meisten Väter ganz anders einteilen als ein Vater im besten „Berufsalter“. Der Druck und die Probleme am Arbeitsplatz sind kaum noch vorhanden, da diese Väter nur noch eine kurze Zeitspanne auf dem Arbeitsmarkt bestehen müssen; die Profilierungsphase beim Arbeitgeber ist vorbei und meist das Maximum aus der beruflichen Karriere erreicht.

Das Verständnis und die Prioritäten sind ihnen ganz bewusst und sie sehen die Kinder als ein Geschenk, das mit nichts aufzuwiegen ist. Der Vater fragt sich oft zweimal, ob wirklich jeder Abendtermin nötig ist und freut sich darauf, wenn er in Pension endlich hauptberuflich nur noch für ihr Kind da sein kann. Väter, die ihre Karriereziele bereits erreicht und die traditionelle Rolle des Versorgers erfüllt haben, verfügen emotional über grössere Ressourcen als Väter anderer Altersstufen.

Bei der Entscheidung für ein spätes Kind nimmt die Partnerin in den meisten Fällen eine Schlüsselstellung ein. Es gibt viele Frauen, die schon immer Kinder haben wollten, aber den passenden Partner noch nicht getroffen haben. Haben sie jetzt den richtigen Mann getroffen, sollte das Alter wirklich kein Ausschlusskriterium sein.

FAZIT

Glück und Geborgenheit können keine Frage des Alters sein. Ist die Frau der Überzeugung, endlich den Partner fürs Leben gefunden zu haben, sollte das Alter erst recht keine Rolle spielen. Letzten Endes zählen immer die Liebe, das Verständnis und die Zuwendung, welche die Partnerin und das Kind erfahren. Diese sind sicher nicht davon abhängig, in welchem Alter der Vater ist, sondern vielmehr vom Selbstverständnis und den Ansprüchen, welche die Eltern an die Erziehung und Betreuung ihres Kindes haben.

 

Bildquelle: StockSnap / pixabay.com